High School Kanada: Erfahrungsberichte

Vorname:
Albrecht
Alter:
17
aus:
Lunow
Schultyp:
Staatliche Schule mit Wahl

Hier der Bericht von Albrecht:

Mein Highschool-Jahr in Edmonton, AB, Kanada

Nachdem mein Flugzeug in Edmonton gelandet war und meine Gastmutter und meine beiden Gastbrüder mich erstmal in Empfang genommen hatten, war das Erste was anstand der Willkommens-Doughnut (natürlich mit Ahorn-Dipping!). Denn Kanada ist Tim-Horton’s-Land, und einen Tim Horton’s gibt’s direkt im Flughafengebäude des Edmonton-International-Airport.

Tim Horton’s ist etwas das ich während meines Kanadajahres wirklich zu schätzen gelernt habe. Denn nach einem langen Schultag, bei bis zu 38 Grad unter null, ist ein Schoko-Doughnut und Kaffee (zusammen nur ungefähr 1,50 CAD) echt wohltuend.

Also am Anfang fand ich es ja unheimlich interessant und lustig einfach nur durch die Stadt zu wandern und auf all die kleinen Unterschiede zwischen Europa und Amerika zu achten. Für eine Weile hatte ich zum Beispiel immer das Gefühl in einen Hollywood-Blockbuster geraten zu sein, denn die Autos die dort gefahren werden kannte ich bisher nur aus Filmen. Natürlich ist auch das ganze Straßensystem zuerst komisch, hilft einem aber sehr sich in der fremden Stadt schnell zu orientieren. Man darf dabei nur nie vergessen: Streets gehen in Nord-Süd-Richtung, Avennues gehen in Ost-West-Richtung!

Ansonsten muss man nur noch auf die Nummer der jeweiligen Straßenecke achten und schon weiß man wo man sich befindet, beziehungsweise wie weit man von der Party, dem Konzert oder dem Haus des Freundes den man besuchen will weg ist. Ein weiterer Unterschied der einem gleich auffällt ist die ethnische Vielfalt. Im Gegensatz zu den USA folgt man in Kanada jedoch nicht dem Prinzip des „Melting Pot“ sondern eher dem Prinzip der „Diversity“, also der Vielfalt. Das heißt man ist eher bemüht die kulturellen Eigenheiten einer jeden Zuwanderungsgruppe zu erhalten und pflegen. So trägt der Polizist dann schon mal einen Turban, die Kassiererin ein Kopftuch oder der Busfahrer Dreadlocks.

Wenn mich Leute auf mein Auslandsjahr ansprechen ist das Erste das mir einfällt meistens wie wohl und willkommen ich mich dort drüben immer gefühlt habe. Nie kam es mir vor als würde man mich schief ansehen weil ich Ausländer war. Im Gegenteil, die meisten Mitschüler und Lehren waren sogar sehr interessiert an meiner Heimat und meiner Geschichte. (Besonders meine Mitschülerinnen waren sehr an meinem deutschen Akzent interessiert. Mein bester Rat an alle zukünftigen Austauschschüler: versucht also gar nicht erst akzentfrei zu sprechen! ;-) Nicht nur in der Schule, sonder auch allgemein fand ich die Atmosphäre immer sehr angenehm und relaxed - ich meine: entspannt.

Am besten gefallen hat mir wohl meine Schule. Ein Grund warum ich mich für mein Auslandsjahr entschied war nämlich dass ich meine alte Schule in Deutschland nicht mehr sehen konnte. Und nach dem ersten Schultag in der Victoria School Of Performing And Visual Arts war mir sofort klar dass ich die Richtige Entscheidung getroffen hatte. Denn, ob man’s glaubt oder nicht, es hat mir wieder richtig Spaß (!!!) gemacht zur Schule zu gehen.

Es würde eine Weile dauern auf die vielen Unterschiede im Schulsystem einzugehen. Um es kurz zu fassen könnte man einfach sagen dass das gesamte Klima einfach viel lockerer ist. So ist es zum Beispiel erlaubt im Unterricht zu essen und zu trinken. Das klingt jetzt natürlich nicht so besonders, aber diese vielen kleinen Dinge sind es die die ganze Atmosphäre netter und motivierender machen. So jedenfalls hat sich das auf mich ausgewirkt. Diskussionen in der Klasse werden von allen mitverfolgt, und jeder hat eine individuelle Meinung. Die Lehrer haben großes Interesse daran dass alle Schüler mitkommen und gefordert, so wie gefördert werden. Mir wurde auch oft spezielle Hilfe angeboten nachdem der Lehrer erfuhr dass ich ein International Student war.

Ein typischer Schulalltag verlief für mich in etwa so:

Aufwachen, Badezimmer, Frühstück, meistens Cornflakes oder so was. Mein Gastvater, mein kleiner Gastbruder und mein chinesischer Austausch-Gast-Bruder und ich stehen meistens zur selben Zeit auf. Dann setzt mein Gastvater mich und meinen kleinen Gastbruder, auf dem Weg zur Arbeit an der Schule ab. Mein erster Kurs wäre dann zum Beispiel English. Dort diskutieren wir grade Kapitel 11 aus „The Adventures Of Huckleberry Finn“, denn das zu lesen war Hausaufgabe. Der Grossteil der Klasse hat eine Meinung, denn das Buch ist gut zu lesen und unsere Lehrerin stellt auf ihre nette art einige provokative Fragen.

Dann erklärt uns Ms. Jackobsen die ersten Schritte zu einem gelungenen Essay. Denn am Ende des Kurses werden wir ein „critical essay“ über das Buch schreiben. Nach 80 Minuten klingelt es und ich mache mich auf zu meiner nächsten Klasse: Social Studies. Da beschäftigen wir uns gerade mit der Geschichte des Kommunismus. Ich kann punkten denn zuhause haben wir Marx schon in der 10. Klasse in Geschichte behandelt. Entgegen meiner Erwartungen ist Mr. Gambier, mein Social-Lehrer, sehr aufgeschlossen und diskussionsbereit den verschiedenen Ideen von Schülern gegenüber. Denn, wie schon gesagt: Kanada ist nicht USA, und in Kanada geht man mit Themen wie Kommunismus lockerer um als womöglich beim großen Bruder im Süden. Nach Social ist erstmal Mittagspause. Die ist 50 Minuten lang. Genug Zeit um rüber nach Chinatown zu wandern und mir bei der chinesischen Bäckerei für 2 Dollar ein paar von diesen süßen, runden Sesamkugeln zu kaufen. Den Rest der Mittagspause verbringe ich auf der Wiese vor dem Schulgebäude mit ein paar

Kumpels die eine Gitarre dabei haben.

Zur dritten Stunde muss ich in den Art-Complex der Schule, denn ich habe Drawing. Mr. MacAuley ist mit seinen knapp 30 der jüngste Lehrer den ich je hatte. Sein Unterricht macht allen Spaß, denn er ist ein lustiger Typ. Er erklärt uns gerade eine Technik zum Zeichnen von Stillleben. Er lässt uns ein paar Minuten vor dem Klingelzeichen raus – nachdem wir 10 Tiere mit dem Anfangsbuchstaben D aufzählen konnten. Wie gesagt, er ist ein lustiger Kerl…

Die letzte Stunde habe ich Radio, wo ich gerade dabei bin meinen Beitrag zu unserer gemeinsamen Radiosendung auf dem Alberta-weiten Sender CKUA aufzuzeichnen. Die Sendung ist in einer Woche, und da es sich ja diesmal um echtes Radio handelt gibt sich die ganze Klasse viel Mühe - damit’s nicht peinlich wird. Um zehn nach drei klingelt es und ich gehe noch mal zu meinem Spind um mein Social-Buch einzupacken. Auf dem Weg dorthin kriege ich von dem einen Psychobilly-Typen einen Flyer in die Hand gedrückt. Am Wochenende spielt nämlich dessen Band.

Weil ich noch in dem einen Plattenladen nach einer CD suchen will nehme ich den Bus Richtung Downtown anstatt direkt nach Hause. Nachdem ich die CD gefunden und gekauft habe stelle ich fest dass die Sonne heute scheint und entscheide mich noch in den Park zu gehen und mich in die Sonne zu legen. Denn in ein paar Wochen wird’s Winter sein und das heißt keine Sonne mehr für Monate. Edmonton ist ne sehr grüne Stadt und es gibt überall kleine Parks und Blumenstauden.

Der Ort wo ich nach der Schule oft hingehe ist besonders nett weil man runter ins Flusstal sehen kann, da wo sich der trübe North-Saskatchewan-River durch die Villengegenden und Golfkurse schlängelt. Nach einer Stunde komme ich dann nach Hause. Meine Gastmutter ist gerade dabei Lebensmittel aus dem Van ins Haus zu tragen. Ich helfe ihr schnell und wir haben gleich danach auch Dinner. Abendessen ist immer warm und so ungefähr gegen fünf, halb sechs. Nach dem Essen fährt mein Gastvater meinen Gastbruder zum Teakwondo-Training. Ich sitze am Computer und schreibe eine Email an einen Freund in Deutschland. Dann lese ich noch ein Kapitel des Buches das wir für Englisch zu lesen haben. Dann Licht aus und schlafen, denn morgen ist wieder nen langer Tag.

Mit meiner Gastfamilie war ich sehr zufrieden. Meine Gastmutter, Anwältin, war der Boss im Haus und wenn ich zu einem Konzert gehen oder bei Jemand anders übernachten wollte war sie diejenige mit der ich alles ausmachen musste. Mein Gastvater arbeitete oft am Haus oder in der Garage. Er war ein Sammler und wenn er am Wochenende zu so genannten Garage-Sales fuhr dann fand er immer irgendwelchen Krams den er für ein paar Doller kaufte. Zu Garage-Sales kam ich oft mit, denn in diesen kleinen, privaten Floh-Märkten findet man oft CDs oder so etwas für nur wenig Geld. Mein kleiner Gastbruder, 10 Jahre alt, hatte immer volles Programm: Taekwondo, Schwimmen, Klavier, Hausaufgaben.

Mein älterer Gastbruder wohnte schon nicht mehr zuhause sondern auf dem Universitätsgelände, ich hatte also nur mit ihm zu tun wenn er am Wochenende mal nach Hause kam. Dann hatte ich auch noch einen Gastbruder aus Shanghai der genau wie ich ein Austauschjahr in Kanada machte. Der war allerdings so zurückhaltend dass ich nie eine Unterhaltung mit ihm zustande gebracht habe. Sonntagmorgen ging meine Gastfamilie auch immer zur Kirche. Sie waren Anhänger der recht fortschrittlich-liberalen United Church, das ungefähre Äquivalent der Evangelischen Kirche in Deutschland. Natürlich musste ich nicht mitkommen, aber aus Freundlichkeit bin ich zu Ostern, Thanksgiving und Weihnachten dann auch gegangen.

An Sonntagen gab es auch immer eine Art Familien Dinner, denn an Wochentagen waren alle immer so beschäftigt dass es selten zu gemeinsamen Mahlzeiten kam. Am Sonntag dann aber eben, gab es ein edles Sonntagsmahl, mit Tischgebet, und Nachtisch. Dann ließen mich meine Gasteltern auch schon mal ein Bier am Tisch trinken, was ja in Kanada eigentlich erst ab achtzehn erlaubt ist. Nach dem Essen blieb die ganze Sippe dann meistens noch zu Kaffee und Nachtisch beisammen sitzen und erzählte. Da ich mich sehr in meine Gastfamilie integriert fühlte blieb ich auch immer gerne dabei um am Familienleben teilzuhaben.

Zurück
Alle Erfahrungsberichte ansehen