Argentinien Austausch: FAQ

Die FAQ wurden beantwortet von Marisa, Leiterin der GLS Partnerorganisation in Rosario, Argentinien (Google map). Das Foto oben zeigt sie in der Mitte, rechts neben ihr ihre Tochter Tania, eine von 20 Mitarbeiterinnen, die sie bei der Betreuung von Austauschschülern in Argentinien unterstützen. Ganz links Carolina Diaz, deine Ansprechpartnerin bei GLS

Wie sicher ist Argentinien? Wirken sich die wirtschaftlichen Turbulenzen aus?

Diese Frage ist witzig, da wir hier in Argentinien nichts von den wirtschaftlichen Turbulenzen mitbekommen. Im Gegenteil, wir sprechen bei uns von einer europäischen Wirtschaftskrise. Klar, Argentinien ist ein Land, in dem - wie in allen Ländern Lateinamerikas - Veränderungen plötzlich kommen und sich die wirtschaftliche Lage von einem auf den anderen Tag verändern kann.

Ich glaube, dass wir auch dadurch die Lebenseinstellung entwickelt haben, jeden einzelnen Tag zu genießen, ohne uns groß um die Zukunft zu sorgen. Aber um genauer auf die Frage einzugehen: es stimmt, seit 2009 geht das wirtschaftliche Wachstum langsamer voran. Trotzdem sehen wir nicht, dass es den Alltag der Gastfamilien beeinflusst, der Konsum ist weiterhin hoch.

Und was Sicherheit angeht: Laut einer Studie der UNO aus dem Jahr 2012 ist Argentinien auf Platz drei der sichersten Länder Lateinamerikas. Auf Platz eins befanden sich Chile und auf Platz zwei Uruguay. Manchmal gibt es in den Städten Überfälle. Deshalb bringen wir den Austauschschülern schon in der Orientierungswoche bei, wie sie sich in einer solchen Situation zu verhalten haben.

Wie sieht die Orientierungswoche aus?

Die Orientierungswoche findet in Rosario statt, wo wir unser Büro haben, und sie ist für uns alle etwas sehr besonderes. Die Austauschschüler, die ihr großes Abenteuer Auslandsjahr vor sich haben, sind aufgeregt und nervös, wenn sie in Argentinien ankommen. Und wir warten immer sehnsüchtig darauf, die Schüler endlich kennenzulernen, nachdem wir uns monatelang mit deren Bewerbungsdossier beschäftig haben.

Während der Orientierung kommen die Schüler in Rosario in einem Internat unter. Neben den 25 Unterrichtsstunden Spanisch, die in kleinen Gruppen gehalten werden, finden jeden Tag Workshops und Freizeitaktivitäten statt. Am Ende dieser ersten Woche in Argentinien sind die Schüler meist sehr traurig, dass die Orientierung vorbei ist, aber auch glücklich und enthusiastisch wegen des bevorstehenden Zusammentreffens mit ihrer Gastfamilie.

Wie findet der Umzug von der Orientierung in die Gastfamilien statt? Und wie erleben die Austauschschüler diesen emotionalen Moment?

Die Familien, die in der Nähe wohnen, holen die Schüler aus dem Internat ab. Viele Familien halten es nicht aus, bis Freitag zu warten und bitten uns darum, ob sie schon Donnerstag Abend den Austauschschüler abholen können. Wir können es verstehen, schließlich warten sie seit Monaten auf diesen Moment, sich endlich persönlich kennenzulernen, deshalb erfüllen wir ihnen ihren Wunsch.

Das Treffen ist immer sehr emotional. Wir erklären den Schülern vorher, welche Worte sie am besten benutzen, wenn sie ihrer Gastfamilie das erste mal gegenübertreten. Denn häufig sind sie so nervös, dass sie fürchten, das falsche zu sagen. Mir persönlich kommen immer ein paar Tränen, wenn ich einem Schüler und seiner Gastfamilie dabei zusehe, wie sie sich erstmalig umarmen und es so wirkt, als würden sie sich schon immer kennen. Die Schüler, die weiter weg wohnen, reisen mit dem Bus zu ihrer Familie und werden von einem Koordinator bis zu ihrem neuen Zuhause begleitet. In diesen Momenten ist es nur der Koordinator, der das Privileg hat, bei diesem unglaublich emotionalen Moment dabei zu sein.

Eure Gastfamilien zeichnen sich (meiner Ansicht nach) durch eine große Motivation aus, die Austauschschüler zu integrieren. Wie findet ihr solche Familien?

Wir sind sehr kleinlich in dem Prozess der Annahme einer Gastfamilie. Damit eine Familie überhaupt in Frage kommt, müssen sie eine ehrliche Motivation mitbringen. Außerdem nehmen alle unsere Familien die Schüler freiwillig und mit dem einzigen Wünsch auf, einen Jugendlichen einer anderen Kultur kennenzulernen und eine Freundschaft aufzubauen.

Manchen Familien ist es unangenehm, dass ihr Kind “umsonst” bei der Gastfamilie unterkommt, ist dieses Gefühl gerechtfertigt?

Im Gegenteil, die argentinischen Familien würden sich schlecht fühlen, wenn jemand sie für die Aufnahme eines Austauschschülers bezahlen würde. Sie versuchen, zu zeigen, wie sie tagtäglich leben. Sie hoffen zu verstehen, wie der oder die Schüler/in in ihrem Land leben und wie sie unsere Kultur sehen.

Die Familien wünschen sich vor allem eine starke und dauerhafte Bindung mit den Austauschülern. Sie möchten einem Jugendlichen vom anderen Ende der Welt die Möglichkeit geben, eine andere, besondere Erfahrung zu machen. Die Freundschaft und die menschliche Bindung, die durch den Aufenthalt entsteht, sind unbezahlbar.

Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, Gastfamilie zu sein und bin mit meiner Gasttochter bis heute noch befreundet. Deshalb können die Austauschschüler beruhigt sein. Ihre Dankbarkeit können sie mit kleinen Aufmerksamkeiten zeigen wie z.B. der Gastfamilie Blumen schenken, für sie kochen, aber selbstverständlich müssen sie sich nicht wegen des Geldes schlecht fühlen. Sicherlich wird ihre Gastfamilie nicht drüber nachdenken.

Ihr organisiert Platzierungen in ganz Argentinien anstatt euch auf einer einzigen Region zu beschränken, was ja einfacher wäre für euch. Warum?

Weil es so viele schöne Regionen gibt. Auch wenn unser Hauptbüro sich in der Rosario befindet, einem wichtigen kulturellen Zentrum des Landes, arbeiten wir trotzdem in Regionen, wo das Klima angenehm ist und die Orte uns für internationale Austauschschüler passend erscheinen. Jedes Mal, wenn wir uns auf eine neue Region erweitern, machen wir es im Hinblick darauf, ob es ein guter Ort für einen Austauschschüler ist. Deshalb platzieren wir keine Schüler in Patagonia, weil das Klima dort kalt ist.

Wie koordinieret ihr die Betreuung der Schüler in einem so großen Land?

Jeder Schüler hat einen Koordinator, der oder die in derselben Gemeinde oder zumindest in der Nähe wohnt. Dieser Koordinator ist immer im Kontakt mit dem Schüler und die Person, welcher sich der Schüler anvertrauen kann, wenn er beunruhigt ist oder einfach nur irgendwelche Fragen hat.

Einmal im Monat oder alle sechs Wochen gibt es eine Versammlung aller Koordinatoren, bei welcher manche persönlich anwesend sind und andere nur über Skype. Außerdem haben wir in unserem Büro zwei Psychologen, Marco und Marisa. Sie beraten unsere Koordinatoren und übernehmen bzw. unterstützen auch, wenn der Schüler oder die Familie das brauchen. Marco kontaktiert zudem die Schüler einmal im Monat per E-Mail aus dem Büro.

Austauschschüler an staatlichen Schulen in Argentinien bekommen alle Zugang zu einem eigenen Laptop. Das ist beneidenswert für europäische Schüler. Was erwartet ausländischen Schüler an einer staatlichen Schule bzw. womit können sie rechnen?

Abgesehen von ein paar staatlichen Schulen, welche ein ausgezeichnetes Niveau haben, kommen Schülern aus Deutschland die Klassen eher laut und einfach vor, was dazu beiträgt, dass sie sich eher auf das Erlernen der Sprache und auf das Schließen von Freundschaften konzentrieren können.

Die Klassen sind laut, weil die Schüler untereinander reden, und das ist eine sehr typische argentinische Charaktereigenschaft: wir lieben Sozialleben. Eine der wichtigsten Werten der argentinischen Kultur ist Freundschaft. Das ist ein Grund, weshalb die Austauschschüler sehr schnell von den argentinischen Schülern integriert werden.

Ein weiterer Grund für das Interesse der Argentinier für die Europäer hat damit zu tun, dass die Mehrheit von uns europäischer Abstammung ist. Somit haben wir durch die Austauschschüler die Möglichkeit, die Welt unserer Vorfahren etwas besser kennenzulernen. Gastfamilien stoßen oft durch die Schule auf unsere Organisation. Das heißt, dass fast alle Austauschschüler Gastgeschwister in ihrem oder in einem ähnlichen Alter haben. Somit ist ein weiterer wichtiger Faktor für die Schule, ob privat oder staatlich, dass die Austauschschüler einen Gastbruder oder eine Gastschwester an derselben Schule haben.

Welche Kriterien sind bei der Wahl einer Schule für euch relevant? Nur die Lage?

Nein, wenn ein Schüler ein sehr genaues Profil hat, schreiben wir ihn an einer Schule ein, die am besten zu seinen Interessen passt und danach bekommt er dann eine Familie zugewiesen. Das können wir so machen, weil wir viele Familien haben, die darauf hoffen, jemanden aufnehmen zu können. Umgekehrt wäre es nicht möglich. So haben wir schon Schüler an Schulen eingeschrieben, die sich auf Tanzen, Musik, Naturwissenschaften oder grafisches Zeichnen spezialisiert haben.

In welchem Fall ist es empfehlenswert, sich für eine private Schule zu entscheiden?

An Privatschulen sind Gruppen kleiner und es gibt keine Streiks. In den staatlichen Schulen kann es vorkommen, dass die Lehrer streiken, um mehr Gehalt zu fordern. Umso teurer die Privatschule ist, desto höher ist das Unterrichtsniveau. Trotzdem gibt es sowohl im privaten als auch im staatlichen Bereich gute Schulen.

Austauschschüler, die für ein ganzes Schuljahr nach Argentinien gehen, haben 3 Monate Ferien. Was machen sie während dieser Zeit?

Wenn der Sommer kommt, haben die Austauschschüler schon viele Freunde und somit verbringen sie die meiste Zeit mit ihnen. Aber es ist nicht das einzige, was sie machen können. Wir fordern sie dazu auf, eine freiwillige Arbeit in diesen Monaten zu machen. Der Koordinator hilft den Schülern, diese Arbeit zu finden. Es gibt Jugendliche, die ihren Freunden Deutsch beibringen, andere arbeiten mit Kindern in einem Ferienlager. Außerdem bieten wir im Sommer zwei von den fünf Reisen an, welche wir über das Jahr hinweg durchführen. Eine davon nach Patagonia (Ushuaia, das Gletscher „Perito Moreno”, “das Ende der Welt”). Die andere Reise nach Bariloche, Mendoza oder einer anderen Region im Zentrum des Landes. Letztendlich kommt es einfach nicht vor, dass die Schüler sich während der Ferien langweilen.